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Antrag / Anfrage / Rede

Uberprüfung des Wärmeversorgungskonzepts für den Lerchenberg mit dem Ziel einer energiesparenden und umweltverträglichen Korrektur

Antrag zur Ortsbeiratssitzung Lerchenberg am 08.09.2005

Der Ortsbeirat möge beschließen:

 

1. Rat und Verwaltung werden gebeten, technische und vertragsrechtliche Wege zu suchen, das nicht mehr zeitgerechte Wärmeversorgungskonzept umweltgerechter zu gestalten mit folgenden

 

Zielvorstellungen:

 

a) Reduzierung der verbrauchsunabhängigen Grundkosten als Instrument der bewusseren E­nergie-nutzung,

 

b) Förderung der Entscheidung der Abnehmer zur Reduzierung des Energieverbrauchs, insbe­sondere durch nachträglichen Maßnahmen gegen die hohen Wärmeverluste bei Raumheizung und Warmwasserbereithaltung,

 

c) Orientierung der Vertragsgestaltung der Endabnehmer an den Verträgen der Vorlieferanten KMW/HKM,

 

d) Mitberücksichtigung regenerativer Energiequellen bei der Energieerzeugung,

 

e) Anpassung des Ortsrechts

 

2. Die Stadtverwaltung wird gebeten, zur Erreichung der vorgenannten Ziele eine Arbeitsgruppe zu bilden und einzuberufen, die aus Sachkundigen mindest folgender Instanzen bestehen soll:

 

FAVORIT, KMW/HKW, Stadtrat, Stadtverwaltung und Ortsbeirat Mainz-Lerchenberg. Für den Vorsitz soll ein unabhängiger, neutraler Fachmann gewonnen werden.

 

Begründung erfolgt mündlich durch Ortsbeiratsmitglied Hartmut Rencker

 

Anlage zum gemeinsamen Antrag aller Fraktionen:

 

Zusammenstellung der dem Antrag zu Grunde liegenden Überlegungen

 

Bauphysik:

Das Wohngebiet Lerchenberg wurde in den sechziger Jahren unter der Auflage, möglichst billig zu bauen, in Nachkriegsstandards errichtet. Damals wollte noch niemand an die Endlichkeit der Ressourcen denken. Das Ergebnis schlägt sich in einem außerordentlich hohen Wärmebedarf nieder, verbunden mit überdurchschnittlich hohen Preisen des Wärmeversorgers. Hauptursache der Wärmeverluste sind stark durchgängige Außenwände, Kältebrücken durch aus der Deckenplatte herausragende Vordächer und Balkone, völlig ungedämmte Sichtbetonflächen, ungedämmte Rollladenkästen, mangelhafte Haustüren usw. Insbesondere die Dächer zeichnen sich durch Undichtigkeiten und hohe Wärmeverluste aus. Die Satteldächer sind überwiegend mit nicht maßhaltigen und deshalb undichten Pfannen gedeckt, dazu ohne Dachhaut errichtet, was Durchfeuchtungen nachträglicher Ausbauten begünstigt. Die unter verstärkten Undichtigkeitsproblemen leidenden Flachdächer sind mit nur 4 cm versotteter Steinwolle minimal wärmegedämmt. Auch die Warmwasserversorgung stellt ein Problem dar. Durch hohe Wärmeverluste vor allem in den langen, weithin unisolierten Zirkulationsleitungen geht ein Wärmeäquivalent von 30 – 40 m³ Warmwasser verloren. Im Winter bleibt das wenigstens im Haus, im Sommer führt das zu unerwünschtem Wärmeeintrag.

 

Heizungsökonomie:

Um Rohrsystem und Heizkörper möglichst klein und billig zu dimensionieren, wurde die Heizung auf Hochtemperatur bis 130° Vorlauftemperatur ausgelegt. Entsprechend schlecht ist die Ausnutzung der Rauchgashitze. Der Einsatz von Brennwerttechniken mit Energiegewinnung aus Kondensationswärme ist deshalb nicht möglich. Die hohen Systemtemperaturen, insbesondere die hohen Rücklauftemperaturen erschweren zudem die Auskoppelung der von KMW/HKM vorgelieferten Fernwärme.

 

Ortssatzung:

Die Ortsatzung schreibt vor, zwecks Luftreinhaltung ausschließlich die vom Heizwerk gelieferte Fernwärme zur Raumheizung und Warmwasserbereitung zu benutzen. Erlaubt ist lediglich die Verwendung von Sonnenenergie und anderer regenerativer Energiequellen. Entgegen dem Luftreinhaltungsgebot erklärt die Satzung offene (nicht zur Raumheizung geeignete) Kamine für zulässig. Andere Feuerstätten sind verboten. Hier besteht ein Widerspruch. Obwohl Holz zu den regenerativen Energiequellen zählt, ist dessen sinnvolle Nutzung in geschlossenen (mit Heizeinsatz zur Raumheizung geeigneten) Kaminen unzulässig. Insofern ist die 1984 vorgenommene Angleichung von § 2 Nr. 2 der Satzung über den Anschluss- und Benutzungszwang an die Fernheizung an § 35 der AVB FernwärmeV umweltpolitisch kontraproduktiv, denn damit wird das Kuriosum geschaffen, dass stinkende offene Kamine nur deshalb erlaubt sind, weil man damit nicht heizen kann. Unklarheiten bestehen auch hinsichtlich der Gestaltungssatzung.

 

Abrechnungsschlüssel Heizung:

Unklar ist, ob § 7 der Verordnung über Heizkostenabrechnungen nur für die Umlage innerhalb von Gebäuden mit verschiedenen Nutzern gilt oder auch für Einzelabnehmer. Danach können die Kosten 30:70 aufgeschlüsselt, also der Verbrauchsanteil umweltverträglich höher gewichtet werden. Dies schließt Favorit aber in den allgemeinen Geschäftsbedingungen aus und besteht bei der Umlage von Heizung und Warmwasser sogar innerhalb von Mehrfamilienhäusern auf einem wenig umweltfreundlichen Schlüssel von 50:50. Einzelabnehmer werden noch ungünstiger gehalten. Hier gelten außerordentlich hohe, nicht situationsgerechte, fiktive Anschlusswerte als Maßstab für die Berechnung der verbrauchsunabhängigen Grundkosten, obwohl nach §18 Abs. 7 der ABV FernwärmeV in Verbindung mit §37 Abs. 2 der Verteilungsschlüssel der Heizkostenverordnung offenbar auch für Einzelabnehmer anwendbar ist. Der von Favorit praktizierte Abrechnungsschlüssel konterkariert damit die umweltpolitische Zielsetzung, den tatsächlichen Verbrauch höher zu gewichten. Die als Berechnungsmaßstab dienenden Anschlusswerte für Heizung dürften kostentechnisch auf minus 50° ausgelegt sein, nicht aber die Anlieferung der Wärme. Nach einer Stichprobenerhebung stehen den Reihenhausbewohnern wegen verplombter Mengenbegrenzer gerade einmal 2-3 Liter Heizwasser in der Minute zur Verfügung. Bei Anschlusswerten von ca. 13-15 KW müsste die Vorlauftemperatur um 80-90° ausgekühlt werden, um den Anschlusswert zu erreichen. Das ist realitätsfern. Seinerzeit wurden die Anschlusswerte wohl nach DIN 4701 festgelegt. Diese Norm gibt es heute nicht mehr in dieser Fassung. Favorit weigert sich unter Hinweis auf Urheberrechte, die alte DIN 4701, die seinerzeit zur Bemessung herangezogen wurde, herauszugeben.

 

Abrechnungsschlüssel Warmwasser:

Auffällig ist das extreme Missverhältnis zwischen den Warmwassergrundkosten und den Verbrauchskosten. Nach einer Stichprobenerhebung sind bei nahezu allen Nutzern die Grundkosten weitaus höher als die Verbrauchskosten. Der Siedlungshaus-Grundpreis für Warmwasser entspricht trotz überproportional gestiegener Energiekosten derzeit dem Arbeitspreis für ca. 30 - 40 m³ Warmwasser, früher war die Relation noch ungünstiger. Der tatsächlich anfallende Arbeitspreis für Warmwasser liegt im Durchschnitt bei nur 30% - 50% des Grundpreises mit einem Spektrum von 10% bis 200% (?). Dennoch soll nicht verschwiegen werden, dass die hausinternen Wärmeverluste dem Gegenwert von 30 – 40 m³ Warmwasser entsprechen und somit indirekt überhöhte Grundkosten rechtfertigen. Hier ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Es darf nicht sein, dass ein Erfassungs- und Abrechnungssystem exzessive Vielverbraucher und vermeidbare oder sogar bewusst herbeigeführte Zirkulationsverluste zum Nachteil der Umweltbewussten begünstigt. Wie diese Grundeinstufung zustande gekommen ist, bleibt unklar. Favorit verweigert hierzu jegliche Auskunft.

 

Nachträglicher Vollwärmeschutz:

Die Mehrzahl der Wohnblöcke wurde nachträglich mit einem Vollwärmeschutz nachgerüstet. Entsprechend sind die Heizkosten gesunken, was sich in der Entwicklung der benötigten Gesamtwärmemenge deutlich zeigt. Ob der reduzierte Bedarf zu einer Anpassung der kostenpflichtigen Anschlusswerte geführt hat, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Wenig Neigung zum Nachrüsten besteht bei den Siedlungshäusern, weil Favorit gegenüber den Siedlern darauf beharrt, auch bei vermindertem Bedarf den vor 35 Jahren festgelegten Bedarfswert als Basis für den Grundpreis heranzuziehen. Dies vereinbart sich nicht mit umweltpolitischen Zielsetzungen, weil hierdurch die Neigung zu kostenaufwändigen Nachrüstungen wirtschaftlich nahezu blockiert wird.

 

Verbrauchsentwicklung:

Der Gesamt-Wärmebedarf ist trotz des Hinzukommens einiger Großabnehmer wie WSD, BGen, E.-D.-Schule, Novo-Nordisk und des Gustav-Mahler-Viertels in den letzten dokumentierten 17 Jahren fast kontinuierlich um ca. 14,5% zurückgegangen, Warmwasser sogar um ca.15,5%. Der Heizungsbedarf der EFH ist um ca. 16% zurückgegangen, wohl auch durch verminderten Bedarf infolge geschrumpfter Familiengrößen. Der Heizungsbedarf der Wohnblöcke ist alleine von 1996 bis 2003, sicherlich auch durch Wärmedämmmaßnahmen, um ca. 19% zurückgegangen oder von1987-2003 trotz des Zubaus einer ganzen Wohnsiedlung um ca. 17%.

 

Rechtslage:

Die "antike" Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz und des Bundesgerichtshofs aus den Jahren 1984/85 zur Frage der Bedarfsanpassung scheint nicht mehr aktuell zu sein. Die Argumentation, die Anlagen seien nach dem ursprünglichen Wärmebedarf dimensioniert und somit Kalkulationsgrundlage, kann nicht auf Dauer greifen. Die Anlagen sind längst abgeschrieben. Trotz des nachträglichen Zubaus von Bürogebäuden und eines ganzen Wohnviertels mussten die Anlagen wegen des insgesamt rückläufigen Wärmebedarfs wohl nie erweitert werden. Vielmehr ist durch die Vorlieferung von Wärme durch KMW/HKM eine völlig andere Kalkulationsgrundlage entstanden. Anstelle einer Wärmeerzeugungsanlage wird jetzt ein Wärmetauscher betreiben. Es ist schlichtweg unseriös, sich auf fast 40 Jahre alte Verträge zu berufen, wenn nach §32 der ABV-FernwärmeV von 1980 die Laufzeit von neuen Verträgen auf höchstens 10 Jahre begrenzt ist.. Der Bestandsschutz von Altverträgen in der Verordnung kann nicht ewig gelten. Auch ist nach §3 der Verordnung der Kunde berechtigt, Vertragsanpassung zu verlangen, wenn er den Wärmebedarf unter Nutzung regenerativer Energiequellen decken will. Genau dies verweigert aber Favorit und besteht selbst bei völliger Nichtabnahme von Heizleistung auf der vollen Grundgebühr.

 

Vorlieferant HKW/KMW

Durch eine Fernleitung wird der Lerchenberg derzeit mit 35000 MWh Wärmeleistung versorgt. Dies entspricht dem Bedarf des gesamten Wohn-Lerchenbergs. Es ist also zu überlegen, die Einzelabnehmer zu direkten Kunden des Vorlieferanten zu machen mit dessen Abrechnungsmodalitäten, da das Heizwerk praktisch nur noch Verteilstation ist. Das Heizwerk arbeitet zumindest im Sommer ausschließlich für den Hochtemperaturbedarf des ZDF.

 

Unverträglichkeiten mit dem ZDF:

Das ZDF muss bei den Überlegungen völlig separat betrachtet werden, da dieses ein eigenständiges Heizsystem mit völlig anderen Leistungsansprüchen betreibt. So verlangt das ZDF vermutlich zur Kälteerzeugung mit der "Kocher-Absorber-Technik" ganzjährig 140° Vorlauftemperatur, also eine Größenordnung, die der Vorlieferant KMW/HKW Mainz nicht zur Verfügung stellen kann. Der Rücklauf vom ZDF dürfte im Sommer heißer sein als der Vorlauf der städtischen Fernwärmeanlieferung. Auch dies ist ein Umweltproblem.. Schwierig zu analysieren ist die Öko-Bilanz der Vor- und Nachteile einer direkten Kälteerzeugung aus Primärhitze oder aus der "Edelenergie" Elektrizität mit hohem Abfallwärmeanteil. Eine entsprechende Anfrage an das ZDF ist noch unbeantwortet. Das ZDF will aber die Versorgung über Favorit zumindest mittelfristig aufrechterhalten. Nach eigener Bekundung sieht das ZDF in der hohen Vorlauftemperatur ein Problem. Favorit verweigert Angaben hierzu. Eine Entscheidung zu möglichen Alternativen hat das ZDF noch nicht getroffen.

 

Regenerative Energien:

Die überwiegend nach Süden ausgerichteten Dachflächen sowie die Garagen- und Flachdächer bieten hervorragende Möglichkeiten der Nutzung von elektrischer und thermischer Solarenergie. Hier bedarf es eines Umsetzungskonzepts, das auch Maßnahmen zur Reduzierung der hohen Wärmeverluste einschließen muss. Regelungen mit dem Wärmelieferanten Favorit und eine Anpassung der Gestaltungssatzung müssen getroffen werden.

 

ausgearbeitet von

Hartmut Rencker, ödp / Freie Wähler

 

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